Angst ist überlebenswichtig
Grundsätzlich ist Angst erst einmal etwas Gutes. Sie hilft uns zu überleben! Bei Gefahr müssen wir augenblicklich reagieren, ohne lange zu überlegen. Bei Angst reagieren wir häufig mit einem sogenannten Tunnelblick. Wir fokussieren uns nur noch auf das, was uns Angst macht und blenden alles andere erst einmal aus. Diese automatische Reaktion unseres Körpers auf Gefahrensituationen, die auch Kampf-Flucht-Reaktion genannt wird lässt uns aufmerksamer sein und bringt uns in erhöhte Alarmbereitschaft. Sie hilft uns Gefahren zu erkennen und mahnt uns zur Vorsicht.
Angst löst die Kampf-Flucht-Reaktion aus
Was ist denn nun die Kampf-Flucht-Reaktion überhaupt? Diese Kampf-Flucht-Reaktion ist ein sogenanntes „Notfall-Programm“ unseres Körpers. Sie bringt unseren Körper innerhalb von Millisekunden in allerhöchste Leistungsbereitschaft. Wenn Informationen und Reize von unserem limbischen System als kritische Situation oder Gefahr bewertet werden, setzt die Kampf-Flucht-Reaktion blitzschnell Stresshormone, wie Cortisol und Adrenalin frei. Diese aktivieren wiederum das sympathische Nervensystem, was dazu führt, dass das Herz schneller schlägt, die Muskeln sich anspannen, der Puls steigt, ebenso der Blutdruck und die Atemfrequenz. Kurzum, der Körper wird innerhalb von Sekundenbruchteilen in Kampf- oder Fluchtbereitschaft gebracht.
Für unsere Vorfahren war diese Reaktion von großer Bedeutung. So wurde das Überleben in einer bedrohlichen Welt gesichert. Oder stell dir mal vor, unsere Vorfahren hätten zuerst noch darüber nachdenken müssen, ob der Säbelzahntiger, der vor ihnen steht, Freund oder Feind bedeutet und wie sie auf ihn reagieren sollen…
Doch, wie sieht das heute aus? Wie dienlich ist uns dieser automatische Mechanismus der Kampf-Flucht-Reaktion in unserer modernen Welt noch?
Angst lässt uns erstarren und ohnmächtig fühlen
Die Kampf-Flucht-Reaktion wird automatisch ausgelöst, sobald unser limbisches System eine Situation als kritisch oder gefährlich bewertet. Was sind denn heutzutage so die typisch kritischen oder gefährlichen Situationen? Es sind alltägliche Situationen, wie Kritik vom Partner oder vom Chef, drohende Arbeitslosigkeit, Beziehungsschwierigkeiten, Angst vor Versagen, Angst nicht gut genug zu sein, Angst vor Krankheit und noch vieles mehr. Doch können wir in diesen Situationen kämpfen oder flüchten, wie es die Natur ursprünglich für uns vorgesehen hat? Eher nicht!
Im Gegenteil, in solchen Situationen ziehen wir uns häufig zurück, fühlen uns ohnmächtig und ausgeliefert. Wir bleiben in unserer ängstlichen Situation stecken, halten uns zurück, möglicherweise bis hin zur Resignation. Das bedeutet, mit jeder neuen Situation, die vom limbischen System als kritisch oder gefährlich eingestuft wird, werden weitere Stresshormone ausgeschüttet. Stresshormone, die den Körper in höchste Leistungsbereitschaft bringen, damit er kämpfen oder flüchten kann. Da wir aber weder kämpfen noch flüchten, werden diese Stresshormone nicht so schnell wieder abgebaut. Hält dieser Zustand länger an, können sich Krankheiten entwickeln, wie beispielsweise Bluthochdruck, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes, Burn-Out bis hin zu Depression.
Angst verzerrt unsere Wahrnehmung
Angst verzerrt auch unsere Wahrnehmung. Das hat nicht nur Miguel de Cervantes Saavedra bereits vor über 400 Jahren gesagt, sondern nun auch britische und amerikanische Wissenschaftler herausgefunden und in ihrem Fachblatt „Current Biology 2012“ veröffentlicht. Wer Angst hat, sieht die Gefahr näher, als sie wirklich ist. Angst verändert die räumliche Wahrnehmung und führt dazu, Abstände falsch einzuschätzen.
Hier ein Beispiel: Wenn wir Angst vor Spinnen haben und wir entdecken eine dicke, fette Spinne im Zimmer sind wir nur auf diese Spinne fokussiert. Unsere Angst lässt uns alles andere ausblenden und führt dazu, dass wir die Spinne auch noch viel größer und näher wahrnehmen, als sie tatsächlich ist.
Diese zusätzliche räumliche Verzerrung kann dazu führen, dass wir das Objekt unserer Angst oder die Situation, vor der wir Angst haben, als übermächtig wahrnehmen. Wir fühlen uns ohnmächtig, ausgeliefert und handlungsunfähig. Das führt zu noch mehr Angst bis hin zu Panik. Irgendwann haben wir Angst vor der Angst, wenn wir nichts dagegen unternehmen.
Angst überwinden
- Um Angst überwinden zu können, gilt es zunächst einmal, sich bewusst zu machen, was genau dieses Angstgefühl ausgelöst hat und damit auch die Kampf-Flucht- oder besser gesagt die Stressreaktion.
Um dir deine Angst bewusst zu machen, kannst du dir folgende Fragen stellen:
- Wovor habe ich Angst?
- Was ist meine größte Angst?
- Worauf richtet sich mein Fokus?
- Wie nehme ich die Situation und mein Umfeld wahr?
Benenne deine Angst. Gib ihr einen Namen. Welche Form hat deine Angst und wie groß ist sie? (Größer als du? So groß wie…) Dadurch identifizierst du dich nicht mehr direkt mit deiner Angst, sondern schaffst dir ein Gegenüber. Ein Gegenüber, gegen das du nun kämpfen oder vor dem du flüchten könntest.
Ein Weg aus der Angst
Um aus dieser „Angst-Situation“ und dem Tunnelblick rauszukommen, kannst du beispielsweise die Perspektive wie hier beschrieben ändern:
- Nimm dich und die angstmachende Situation als dein Gegenüber (das kann ein Gefühl, eine andere Person, eine Organisation etc. sein) aus deiner Position und deiner Perspektive wahr.
- Nachdem du nun die Angst und die Situation aus deiner Position und Perspektive wahrgenommen hast, wechsle in die andere Position. Nimm nun die Position deines Gegenübers (deiner angstmachenden Situation) ein und erlebe die Situation von dort. Wie nimmst du dich nun von der anderen Seite aus wahr? In diesem Schritt erlebst du die Situation meist als neutral.
Oft löst sich die Angst schon nach einem solchen Wechsel der Perspektive direkt auf.
Gezielt entspannen gegen die Angst
Dr. Edmund Jacobson entdeckte Anfang des 20. Jahrhunderts, dass Erregungszustände immer in Verbindung mit einem erhöhten Muskeltonus stehen. Er fand heraus, dass sobald der Muskeltonus reduziert wird auch gleichzeitig die Aktivität des sympathischen Nervensystems herabgesetzt wird. Diese Erkenntnis ließ ihn die Progressive Muskelentspannung entwickeln.
Bei dieser Form der Entspannung werden nacheinander einzelne Muskelgruppen zuerst an- und dann wieder entspannt. Dies wirkt sich ausgleichend auf das vegetative Nervensystem aus und damit positiv auf Erregungszustände, wie sie bei Angst, Stress und psychosomatischen Störungen auftreten.
Probiere es doch am besten gleich selbst aus. Hier kannst du dir den Zugang zur Anleitung der Progressiven Muskelentspannung sichern.
Zusammenfassung
Wenn du bemerkst, dass du Angst hast und sich vielleicht auch schon die Kampf-Flucht-Reaktion bemerkbar macht, nimm das Gefühl zunächst einmal an. Die Angst macht dich in diesem Moment darauf aufmerksam, nochmal etwas genauer hinzusehen. Sie will dich schützen. Nachdem du dir das bewusst gemacht hast, nimm einen Wechsel der Perspektive vor und schau, ob du noch Informationen brauchst, Hilfe oder Unterstützung, um in dieser Situation wieder handlungsfähig zu werden.
Wenn du an der Situation in diesem Moment jedoch nichts verändern kannst, komm dennoch in Bewegung. Übe die Progressive Muskelentspannung, gehe spazieren, tanze, mache ein Workout oder sonst irgendetwas, bei dem du dich körperlich bewegst. Durch die Bewegung werden Stresshormone abgebaut und du nimmst automatisch einen Standpunkt- und Perspektivenwechsel vor.
Dies ist ein „Erste-Hilfe-Kit“ für Angst im Allgemeinen. Wenn es sich um komplexere Themen oder um krankhafte Formen der Angst handelt hole dir bitte entsprechende Hilfe und Unterstützung.
Wir unterstützen dich gern.
Herzliche Grüße
Sylvia & Michael
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