„Wir streiten nicht…“ – Warum das (meist) kein Grund zur Freude ist
„Wir streiten nie – bei uns gibt es keine Probleme“, das ist ein Satz, der mir immer wieder begegnet… Einerseits in meinen Coachings – aber noch viel öfter höre ich ihn von Menschen, mit denen ich mich in meiner Freizeit unterhalte und die mich zuvor gefragt haben, was ich arbeite. Da kommt diese Aussage sehr häufig.
Eine solche Aussage klingt im ersten Moment harmonisch, liebevoll und vorbildlich, und ich würde mich riesig freuen, wenn es denn wirklich so wäre. Vielmehr geht in mir an dieser Stelle jedoch eine innere Alarmglocke an! Denn wenn zwei Menschen in enger Beziehung zueinander leben, bleibt es nicht aus, dass es Reibungspunkte gibt. Das ist ganz natürlich. Unterschiedliche Bedürfnisse, Prägungen, Verletzungen – all das gehört zum Menschsein dazu. Und wer sich wirklich nahe ist, wird diese Themen nicht vermeiden können und stößt sich auch mal aneinander.
Wenn es in einer Partnerschaft so gar keine Reibung gibt, dann bedeutet das in den wenigsten Fällen, dass alles im Fluss ist – sondern vielmehr, dass Konflikten konsequent aus dem Weg gegangen wird.
Die stille Strategie der Vermeidung: Was wirklich hinter „Wir streiten nicht“ steckt
Viele Paare haben im Laufe der Zeit feine, teils unbewusste Strategien entwickelt, wie sie unangenehmen Gefühlen oder Diskussionen aus dem Weg gehen können. Solche Strategien sind beispielsweise:
- Sie sprechen Themen nur noch oberflächlich oder gar nicht mehr an.
- Sie ziehen sich körperlich zurück – Intimität wird rar.
- Sie leben nebeneinander her und funktionieren im Alltag wie ein gutes Team – doch die emotionale Tiefe fehlt.
Diese Form von Vermeidung ist keine Schwäche – sie ist ein Schutzmechanismus.
Bei jedem Konflikt könnten alte Wunden aufreißen. Alte Wunden, mit denen sie nicht mehr in Kontakt kommen möchten. Das können Verlustangst oder Ohnmachtsgefühle sein, Überforderung oder das Gefühl, nicht gesehen oder nicht geliebt zu werden… – um nur einige zu nennen. Und wer gelernt hat, dass Nähe auch Schmerz bedeutet, wählt lieber die Vermeidung und zieht sich zurück, anstatt sich der Gefahr auszusetzen, wieder mit diesem Schmerz oder den alten Wunden konfrontiert zu werden.
Aber: Wo keine echte Reibung mehr stattfindet, findet oft auch keine echte Begegnung mehr statt.
Körperlich da – innerlich weit weg: Die unsichtbare Trennung in Beziehungen
In der Konfliktvermeidung entsteht eine leise Entfremdung. Zuerst fällt es vielleicht gar nicht auf. Man arrangiert sich, lebt den Alltag, kümmert sich um die Kinder, den Job, die Eltern, Freunde, Hobby… Doch langsam, still und schleichend stirbt die Verbindung – nicht mit einem lauten Knall oder Riss, sondern unbemerkt auf leisen Sohlen.
Die Paare „funktionieren“ ganz gut miteinander– aber sie fühlen sich nicht mehr.
Keine wirkliche Berührung – weder im Gespräch noch im Körperkontakt.
Und dabei sehnt sich doch jede Seele nach genau dieser tiefen, lebendigen Verbindung.
Streiten in der Beziehung ist nicht die Lösung
Ein „wir streiten nicht“ kann genauso ein Beziehungskiller sein, wie „wir streiten ständig“. Es geht also weniger um die Frage: „Wie gehen wir am besten mit Streit um?“, sondern um die Frage: „Was vermeiden wir gerade – und warum?“
Es geht darum, die eigenen inneren Muster zu erkennen:
- Welche Beziehungserfahrungen aus der Kindheit beeinflussen heute noch unbewusst meine erwachsene Beziehung?
- Warum reagiere ich so stark (oder gar nicht) auf bestimmte Aussagen meines Partners oder meiner Partnerin?
- Wo schütze ich mich – und verhindere damit echte Nähe?
In Beziehungen geht es darum, den Mut zu finden, sich selbst zu begegnen.
Erst wenn wir verstehen, was in uns berührt wird, können wir auch den anderen wieder wirklich berühren – ehrlich, lebendig und verbunden.
Auch wir streiten nicht...
Das SWR hat im Frühjahr 2025 einen Beitrag über Michael und mich gedreht, bei dem es um unser Kennenlernen und unsere Paarbeziehung im Alltag geht. (falls du den Beitrag noch nicht kennst, hier kommst du zum Beitrag „Alles Liebe“) Die Reporterin fragte dabei natürlich auch uns, ob wir streiten. Unisono beantworteten wir die Frage mit: Wir streiten nicht.
Meine ausführliche Antwort auf diese Frage wurde jedoch – aufgrund der Sendezeit – nicht im Beitrag ausgestrahlt.
Wir möchten dir meine Antwort aber nicht vorenthalten. Deshalb hier meine ausführliche Antwort auf die Frage der Reporterin, ob wir uns streiten:“ Wir streiten nicht, was aber nicht bedeutet, dass es bei uns keine Differenzen, Meinungsverschiedenheiten oder auch mal Konflikte gibt. Wir gehen nur anders damit um. Und genau das macht den Unterschied. Und dieser Unterschied ist: Wir geben dem Raum, was sich in jedem von uns zeigt, ohne dass der andere es persönlich nimmt oder es auf sich bezieht. Wir sprechen aus, was uns bewegt, hören einander zu – nicht um zu gewinnen, sondern um zu verstehen. Wir schauen gemeinsam auf das, was jeden von uns bewegt – mit Offenheit und Mitgefühl – und schaffen damit echte Begegnung – ohne streiten zu müssen.“
Möchtest auch du in eine bewusste Verbindung kommen?
Wenn du spürst, dass auch ihr euch emotional aus dem Weg geht – wenn du ahnst, dass da mehr sein könnte zwischen euch, dann lade ich dich herzlich ein: Vereinbare ein erstes kostenloses und unverbindliches Orientierungsgespräch mit mir. Gemeinsam schauen wir, was euch bewegt, wo eure Beziehung gerade steht – und wie ihr wieder in eine lebendige, ehrliche Verbindung kommen könnt. – Ich freue mich auf euch.
Alles Liebe
Deine Sylvia
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